Der topographische Standort der UB Stadtmitte war schon bei früheren Unwettern besonders gefährdet

Im Oktober 1982 beschäftigte sich der Stuttgarter Uni-Kurier, die Zeitung der Universität Stuttgart, auf mehreren Seiten mit dem 25-jährigen Jubiläum des Bibliotheksneubaus. Auf Seite 7 der Ausgabe berichtete H.J. Schröder von den Schäden, die das Unwetter vom 15. August 1972 der Bibliothek zufügte. Wir geben den Artikel im Wortlaut wieder. Im Magazin der UB erinnert noch heute eine Tafel mit Schwarzweißfotografien an das Unwetter von 1972.


Originalbeitrag von H.J. Schröder

15. August 1972: Wie eine Insel im See. Unwetter beschädigte 40.000 Bände – Wasser stand 2 Meter hoch

Als in den Nachmittagsstunden des 15. August 1972 ein Unwetter schlimmsten Ausmaßes über Stuttgart [Video] hereinbrach, gehörte auch die Universitätsbibliothek zu den am meisten betroffenen Einrichtungen der Stadt. Die herabstürzenden Regen- und Hagelmassen, die von der Kanalisation nicht aufgenommen werden konnten, strömten -vermischt mit Erde, Schmutz und abgerissenen Zweigen – von den umliegenden Hängen über die Straßen in den Talkessel und sammelten sich u.a. im Bereich des Stadtgartens zu einem großen See, aus dem die Bibliothek wie eine Insel herausragte.

Hilflose Bibliothekare

Zwar ließen die eiligst geschlossenen Außentüren kaum Wasser in das Gebäude dringen, doch stieg es in den zahlreichen ebenerdig endenden Lichtschächten des Untergeschosses unaufhaltsam, bis die Fenster dem Druck nicht mehr standhalten konnten und zerbrachen. Schon nach kurzer Zeit stand in dem hier liegenden Büchermagazin, in dem etwa 200.000 Bände – die Hälfte des ganzen damaligen Buchbestandes der Bibliothek, vor allem Zeitschriften -ihren Platz hatten, das Wasser einen halben Meter hoch. Mit der Stromversorgung fielen auch Beleuchtung, Lüftung und Aufzüge aus. Die Bibliothekare mussten hilflos zusehen, wie sich innerhalb einer halben Stunde ein wohlgeordneter Bücherbestand in ein dunkles, schmutziges Chaos verwandelte.

Schlammbedeckte Gänge

Nachdem noch während der Nacht die Feuerwehr das eingedrungene Wasser abgepumpt hatte, wurde am darauffolgenden Tag das ganze Ausmaß der Schäden sichtbar. Die Gänge zwischen den Bücherregalen waren bedeckt mit Schlamm und weggespülten zerfetzten und durchnässten Büchern. In einem Nebenraum hatte sich das eingedrungene Wasser fast bis zu einer Höhe von zwei Metern aufgestaut, so dass die Zwischenwand zum Magazin einbrach und Regale sowie einen Teil der Buchförderanlage mit sich riss.

Schwierige Aufräumarbeit

Unverzüglich wurde mit den Aufräumungsarbeiten begonnen. Nachdem die Gänge freigemacht waren, wurden die durchnässten Bücher in das Erdgeschoß geschafft und im Foyer und in den Gängen zum Trocknen aufgestellt. Wegen des Ausfalls der Aufzüge und des Fehlens eines direkten Zugangs von außen in das Untergeschoß musste alles unter Einsatz des gesamten Bibliothekspersonals von Hand über die beiden Treppenhäuser auf der Nordseite transportiert werden. Da wegen der ausgefallenen Lüftung die Luftfeuchtigkeit im Untergeschoß rasch sehr hohe Werte erreicht hatte, gerieten zunehmend auch die nicht unmittelbar vom Wasser erreichten Bände in Gefahr. Eilends aus München herbeigeschaffte Raumtrocknungsgeräte (große Ventilatoren, welche die feuchte Luft durch Schichten von Calciumchlorid zogen) konnten zwar die Schimmelbildung an den Büchern und ihre weitere Durchfeuchtung verzögern, Räume und Bücher aber nicht in angemessener Zeit und mit vertretbarem Aufwand austrocknen. Es musste daher das gesamte Magazin kurzfristig geräumt und die Bücher in geeigneten Ausweichräumen untergebracht werden. Nur ein kleiner Teil konnte in den Obergeschoßmagazinen der Bibliothek Platz finden. Dankenswerterweise stellte aber die Württembergische Landesbibliothek die noch nicht belegten Teile ihres neuen klimatisierten Büchermagazins zur Verfügung. Hierdurch war es nicht nur möglich, die gefährdeten Bestände zu retten, sondern sie auch binnen kurzer Zeit der Benutzung wieder zugänglich zu machen. Rund 140.000 Bände des ausleihbaren Bestandes wurden so in die Württembergische Landesbibliothek gebracht; Dubletten und noch nicht aufgenommene Geschenke kamen in einen vorübergehend leerstehenden Raum im Universitätsbereich Stuttgart-Vaihingen.

Hilfe von US Army

Für die umfangreichen Bergungs- und Auslagerungsarbeiten reichte natürlich das eigene Bibliothekspersonal nicht aus, zumal Eile geboten war. Im Rahmen des Katastropheneinsatzes halfen zunächst Bundeswehrsoldaten, später bis Ende August Freiwillige aus Einheiten der US-Armee mit bemerkenswertem persönlichen Einsatz. Nach der Bergungs- und Auslagerungsaktion galt es, die Benutzung der Bibliothek wieder zu normalisieren, die baulichen Schäden zu beseitigen, die betroffenen Bücher zu restaurieren bzw. zu ersetzen und die Kataloge zu berichtigen. Diese Arbeiten haben die Bibliothek fast zehn Jahre lang intensiv beschäftigt und in ihrer Leistungsfähigkeit beeinträchtigt, da sie zwar mit zusätzlich bewilligten Sachmitteln, aber – abgesehen von den baulichen Maßnahmen -fast ausschließlich mit eigenen Kräften, nur unterstützt von Schülern und Studenten als Hilfskräften, erledigt werden mussten.

40 000 Bände beschädigt

Von den rund 40 000 unmittelbar betroffenen Bänden des inventarisierten ausleihbaren Bestandes konnte der weitaus größte Teil restauriert oder wiederbeschafft werden – nicht zuletzt dank der vielfältigen Unterstützung von außen durch fachmännischen Rat, aktive Hilfe, Spenden und Überlassen von Dubletten aus anderen Bibliotheken. Etwa 2.500 Bände allerdings bleiben wohl als bedauerlicher unwiederbringlicher Verlust. Der Bibliotheksbetrieb konnte bereits am 2.10.72 zu Beginn des Wintersemesters 1972/73 wiederaufgenommen werden. Die ausgelagerten Bestände kehrten nach zwei Jahren in den Sommersemesterferien 1974 in die Bibliothek zurück. Bis dahin wurden das Untergeschoß baulich wiederhergerichtet, der Bodenbelag erneuert und bei dieser Gelegenheit vorsorglich Laufschienen für eine Fahrregalanlage verlegt. Diese Anlage wurde dann in den 80er Jahren eingebaut und hat die Kapazität des Magazins inzwischen beträchtlich vergrößert. Außerdem wurden bauliche Maßnahmen getroffen, um die Bibliothek vor einer ähnlichen Katastrophe zu bewahren (Sicherung der Lichtschächte, Schutzmauer an der NW-Ecke des Gebäudes, Sicherung der Stromversorgung, Verbesserung der Pumpanlage). So ist zu hoffen, dass sich eine solche Notsituation, welche die Bücherversorgung der Universität lange erheblich beeinträchtigt hat, künftig nicht wiederholen wird.

 

 

 

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